Digital Detox: Mythos oder Lösung?
27. Februar 2025, Gioia Pillittu

Key Insights

– Immer mehr Menschen wollen weniger Zeit online verbringen – die Digital-Detox-Industrie verspricht Lösungen und wächst rasant.

 

– Apps und Offline-Retreats sollen helfen, doch oft bleiben sie nur kurzfristige Auswege ohne langfristige Wirkung.

 

– Digitale Abhängigkeit ist ein strukturelles Problem, das nicht allein durch Selbstdisziplin gelöst werden kann.

 

– Statt schneller Lösungen braucht es eine kritische Auseinandersetzung mit der Verantwortung grosser Tech-Unternehmen.

 

Ein wachsender Markt

Immer mehr Menschen wollen weniger Zeit online verbringen. Das zeigen sowohl Trends in den sozialen Medien als auch aktuelle Studien. Fast die Hälfte der jungen Erwachsenen empfindet ihre Online-Aktivitäten als schädlich für das eigene Wohlbefinden, laut einer Studie des Pew Research Center. Gleichzeitig versuchen 46 Prozent der Generation Z aktiv, ihre Bildschirmzeit zu reduzieren, wie eine Untersuchung von Deloitte zeigt. Dieser Wunsch hat eine neue Branche hervorgebracht: die Digital-Detox-Industrie. Sie bietet Produkte und Dienstleistungen an, die Menschen helfen sollen, weniger Zeit mit digitalen Medien zu verbringen. Dazu gehören spezielle Apps, die Ablenkungen blockieren, sowie technikfreie Wellness-Retreats.

 

Dieser Markt boomt. 2023 lag der Wert des Marktes für Digital-Detox-Apps bei 0,39 Milliarden Dollar. Bis 2032 soll er auf 19,44 Milliarden Dollar anwachsen. Auch die Nachfrage nach Offline-Retreats steigt: Die globale Suchanfrage nach «digital detox retreat» stieg 2024 um 50 Prozent.

 

Warum wollen Menschen offline gehen?

Die Sehnsucht nach digitaler Entgiftung ist verständlich. Noch nie war die Gesellschaft so stark mit dem Internet vernetzt. Gleichzeitig steigen die negativen Folgen: Mehr als die Hälfte der jungen Menschen verliert durch Smartphone-Nutzung nach Mitternacht wertvollen Schlaf, so eine Studie der National Sleep Foundation. Fast die Hälfte der britischen Teenager fühlt sich von sozialen Medien abhängig, laut einer Umfrage von Ofcom. Hohe Nutzungszeiten stehen in Zusammenhang mit Irritabilität, Angststörungen und Depressionen, wie eine Analyse der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigt.

 

Viele Anbieter*innen präsentieren sich als Lösung für dieses Problem. Apps wie Opal, Jomo und Forest versprechen, Nutzer*innen dabei zu helfen, sich besser zu konzentrieren und ihre Bildschirmzeit zu kontrollieren. Digitale Detox-Retreats locken mit der Aussicht auf eine vollständige Offline-Erfahrung. Doch helfen diese Angebote wirklich?

 

Die Grenzen von Digital-Detox-Apps

Wer mit einer App weniger Zeit am Smartphone verbringen will, nutzt ironischerweise genau das Medium, das er vermeiden möchte. Ein Beispiel ist die App Opal. Sie blockiert andere Anwendungen, um Ablenkungen zu reduzieren. Doch viele Nutzer*innen umgehen diese Sperren oder passen ihre Einstellungen nach kurzer Zeit an. Die Versuchung bleibt bestehen.

Die Effektivität solcher Apps ist fraglich. Sie bieten keine langfristige Strategie, um die Ursachen der digitalen Abhängigkeit zu bekämpfen. Viele Menschen steigern stattdessen ihre Nutzung, sobald die App nicht mehr aktiv sperrt. Das Problem wird verschoben, aber nicht gelöst.

 

Offline-Retreats: Teuer und elitär

Offline-Retreats versprechen eine Pause vom digitalen Alltag. Sie finden oft in naturnahen Luxusresorts statt und bieten Meditation, Yoga und bewusste Entschleunigung. Doch diese Angebote sind kostspielig und damit nicht für alle zugänglich.

Zudem sind sie nur ein kurzfristiger Ausweg. Wer nach einem Retreat in seinen gewohnten Alltag zurückkehrt, steht wieder vor denselben Herausforderungen. Die eigentliche Ursache der Abhängigkeit – die digitale Struktur des modernen Lebens – bleibt bestehen.

 

Die Illusion der Kontrolle

Die Digital-Detox-Industrie verkauft den Menschen die Illusion, sie hätten die Kontrolle über ihre Bildschirmzeit zurückgewonnen. Doch das eigentliche Problem liegt tiefer. Technologie ist ein fester Bestandteil des modernen Lebens. Arbeit, soziale Kontakte und Freizeitaktivitäten sind oft digital verknüpft. Eine komplette Trennung ist nicht praktikabel.

 

Stattdessen sollte sich die Diskussion darauf konzentrieren, wie ein gesunder Umgang mit Technologie langfristig möglich ist. Unternehmen wie Meta oder Google tragen eine Mitverantwortung. Sie gestalten Plattformen so, dass sie möglichst viel Zeit der Nutzerinnen und Nutzer binden.

 

Fazit

Der Wunsch, weniger Zeit online zu verbringen, ist berechtigt. Doch die Digital-Detox-Industrie bietet keine nachhaltige Lösung. Apps und Retreats können kurzfristig helfen, aber sie bekämpfen nicht die eigentlichen Ursachen. Ein langfristiger, bewusster Umgang mit Technologie ist wichtiger als teure Schnelllösungen. Vielmehr sollten digitale Plattformen und ihre Betreiber in die Verantwortung genommen werden, um gesündere Nutzungsmuster zu ermöglichen.

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*Bildquelle Header: cosmos.so